Jever. Tausende Menschen, die im Kreis Friesland geimpft worden sind, sollen nachgeimpft werden. Sie erhielten möglicherweise nur eine Kochsalzlösung.

Nachdem eine Krankenschwester Spritzen mit einer Kochsalzlösung statt mit Impfstoff aufgezogen haben soll, könnten nun Tausende Menschen im Kreis Friesland keinen ausreichenden Impfschutz gegen Covid-19 haben. Das sind weit mehr als zunächst angenommen, wie der Kreis Friesland und die Polizeiinspektion Wilhelmshaven/Friesland am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Jever mitteilten.

Die 8557 möglicherweise Betroffenen, die im Zeitraum zwischen dem 5. März und dem 20. April geimpft wurden, sollen nun schnellstmöglich weitere Impfungen erhalten. „Wir müssen den Schaden von diesen Menschen abwenden, auch wenn wir nicht wissen, wie viele Menschen wirklich betroffen sind“, sagte Frieslands Landrat Sven Ambrosy (SPD).

8,7 Prozent der Kreisbevölkerung könnten betroffen sein

Nach polizeilichen Ermittlungen müsse nun davon ausgegangen werden, dass bei bis zu 9673 Impfungen in dem genannten Zeitraum noch weiteren Menschen Kochsalzlösungen statt der gewünschten Impfstoffe von Biontech, Moderna und Astrazeneca verabreicht wurden, sagte Ambrosy. Insgesamt seien 8,7 Prozent der Kreisbevölkerung von den zusätzlichen Impfungen betroffen - darunter vor allem Personen der Priorität zwei, etwa Menschen über 70 Jahren. „Das macht mich besonders betroffen, weil das gerade die Menschen sind, die wir besonders schützen wollen“, sagte Ambrosy. Auch Ärzte, Erzieherinnen und Pflegekräfte zählten zu der betroffenen Gruppe.

Die zusätzlichen Impfungen, auch wenn es die dritte oder gar vierte Impfung ist, seien nach Rücksprachen mit dem Robert Koch-Institut (RKI) und der Ständigen Impfkommission (Stiko) medizinisch unbedenklich, sagte der Präsident des niedersächsischen Landesgesundheitsamtes, Matthias Pulz. Die Nebenwirkungen könnten dann aber so ausfallen wie bei einer zweiten Impfung - „vielleicht etwas ausgeprägter“, sagte Pulz. „Aber es sind auf der Stelle dann zu erwartende Nebenwirkungen und nicht ungewöhnliche Komplikationen.“

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Examinierte Krankenschwester vertuschte den Vorfall

Die Nachricht traf die Menschen im Landkreis, der niedersachsenweit am Dienstag mit 1,0 den niedrigsten Inzidenzwert aufwies, ins Mark. Fast vergessen schien, was am 21. April im Impfzentrum bei Schortens passiert sein sollte: Eine Mitarbeiterin des Impfzentrums, eine examinierte Krankenschwester, hatte eingeräumt, sechs Spritzen statt mit dem Impfstoff von Biontech mit einer Kochsalzlösung gefüllt zu haben.

Beim Anmischen soll ihr damals ein Fläschchen mit dem Impfstoff heruntergefallen sein, was sie - angeblich aus Furcht, ihren Job zu verlieren - vertuschen wollte. Wenig später hatte die Frau dann einer Kollegin von dem Vorfall erzählt.

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Niedersächsische Impfzentren führten Vier-Augen-Prinzip ein

Der Kreis prüfte danach den Impfschutz bei 118 möglichen Betroffenen mithilfe von Antikörpertest. In 22 Fällen fehlten Antikörper, so dass diese betreffenden Personen sowie bis zu 80 weitere ohne Antikörpertests damals nachgeimpft werden sollten.

Der Fall hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt und auch zu Konsequenzen geführt. In den niedersächsischen Impfzentren wurde ein Vier-Augen-Prinzip eingeführt, um solche Fälle zu vermeiden. Die Frau wurde nach Bekanntwerden des Falles entlassen. Staatsanwaltschaft und Polizei ermitteln seitdem wegen möglicher Körperverletzung.

Größte Nachimpfaktion Niedersachsens beruht auf Zeugenaussagen

Dass nun die bislang wohl größte Nachimpfaktion des Landes Niedersachsens anläuft, ist vor allem auf Zeugenaussagen zurückzuführen, wie der stellvertretende Leiter der Polizeiinspektion Wilhelmshaven/Friesland, Peter Beer, am Dienstag schilderte. Demnach hätten sich bei Vernehmungen zuletzt konkrete Hinweise ergeben, „die darauf hindeuten, dass die Frau nicht nur in diesem einen Einzelfall gehandelt hat“, sagte Beer. Er nannte aber keine Einzelheiten.

Die Frau ließ über ihre Rechtsanwälte dagegen am Dienstag mitteilen, dass es sich bei der Tat am 21. April um einen „einmaligen Vorfall“ gehandelt habe. „Insbesondere hat es keine weiteren Tage gegeben, an denen der Impfstoff nicht pflichtgemäß in der vorgesehenen Menge durch unsere Mandantin verabreicht wurde“, hieß es in der Mitteilung. Auch eine politische Motivation wiesen die Anwälte zurück.

Krankenschwester äußert sich nicht zu den Vorwürfen

Die Polizei geht bislang von einer Vertuschungstat aus und wollten sich nicht zu Spekulationen über einen möglichen politischen Hintergrund als Motiv äußern. Beer bestätigte allerdings am Dienstag bereits zuvor bekannte gewordene Recherchen etwa des „Spiegel“, wonach die Beschuldigte vor dem 21. April in einem sozialen Netzwerk Beiträge teilte, in denen Corona-Maßnahmen der Regierung kritisiert wurden.

Zudem habe die Frau über einen Chat „corona-kritische Informationen“ verteilt, sagte Beer. „Das ist aber alles, was wir bisher im Rahmen der Ermittlungen festgestellt haben.“ Die Frau schweige zu dem Geschehen. „Das macht es natürlich um ein vielfaches schwieriger, dann diesen Sachverhalt zu ermitteln“, sagte Beer.

Beschuldigte möglicherweise Impfgegnerin

Der Leiter des niedersächsischen Corona-Krisenstabs, Heiger Scholz, sagte, die Ermittlungen hätten ergeben, dass die Einlassung der Frau damals „wohl nicht richtig war.“ Es gebe deutliche Hinweise darauf, dass die Beschuldigte „in großem Umfang Kochsalzlösung verimpft hat als Impfgegnerin“, sagte Scholz. „Das ist schon ziemlich perfide, sich in ein Impfzentrum zu schleichen mit dem einem Vorsatz so etwas zu tun und dann den Menschen, die ja auf eine Impfung und den Schutz der Impfung hoffen, in der Weise zu hintergehen, zu täuschen. Da fällt einem ganz wenig dazu ein.“

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