Pharmabranche sieht Corona-Impfung als langfristiges Milliardengeschäft

Pfizer und Moderna haben mit der letzten Phase in der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs begonnen. Entgegen der verbreiteten Meinung verspricht sich die Branche davon ein lang anhaltendes Milliardengeschäft. Mit Rückschlägen ist jedoch zu rechnen: So zeigte ein Arthritis-Mittel von Roche bei der Behandlung von Covid-19-Patienten keine Wirkung.

Giorgio V. Müller
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Pfizer hat im Rennen um den ersten Covid-19-Impfstoff die Nase vorn.

Pfizer hat im Rennen um den ersten Covid-19-Impfstoff die Nase vorn.

Carlo Allegri / Reuters

Das Rennen um einen Impfstoff gegen das Coronavirus geht in die Schlussrunde. Ein Erfolg ist zwingend, denn ohne eine wirksame Impfung ist eine Rückkehr zur Normalität kaum vorstellbar. Rund 25 Kandidaten befinden sich in klinischen Tests, knapp eine Handvoll haben soeben mit der letzten Phase der Entwicklung (Phase III) begonnen, bei der an Tausenden von Menschen geprüft wird, ob es eine statistisch signifikante therapeutische Wirkung gegenüber einem Placebo gibt. Anfang Woche haben die beiden amerikanischen Firmen Pfizer und Moderna diesen letzten Schritt vor der Zulassung gemacht. Pfizer ist zuversichtlich, schon im Oktober bei der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA den Antrag für eine Zulassung einreichen zu können.

Doch lukrativ?

Wegen der vergleichsweise bescheidenen Rentabilität spielt das Impfgeschäft bei den meisten Pharmafirmen schon länger nur noch eine Nebenrolle. Novartis zum Beispiel ist bereits vor Jahren ausgestiegen. Doch mit Covid-19 wird sich seine Bedeutung vielleicht ändern. Pfizer gab am Dienstag bekannt, man rechne damit, dass die Nachfrage nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus während mehrerer Jahre hoch bleiben werde.

Die Nachfrage ist jedoch nur das eine. Entscheidend ist, wie viel sich damit verdienen lässt, denn die Preise, die für die einzelnen Dosen voraussichtlich verlangt werden, wirken bescheiden. Pfizer will in den USA 20 $ für den zusammen mit der deutschen Biotechfirma Biontech entwickelten Impfstoff verlangen. Den ersten vier Patienten wurde er diesen Montag gespritzt, kontinuierlich soll er nun rund 30 000 Menschen an 120 verschiedenen Spitälern verabreicht werden. Weil es nach einigen Wochen eine Nachimpfung braucht, würde eine Behandlung pro Patient also 40 $ kosten.

Jährliche Impfung wahrscheinlich

Die Analytiker von JP Morgan Chase haben auf dieser Basis errechnet, dass Pfizer 2022 mit Impfstoff rund 5,5 Mrd. $ Umsatz erzielen wird. Auch in den Folgejahren sollte das Geschäft attraktiv bleiben, denn mit einer einzigen Impfung ist es wohl nicht getan. Laut Aussagen des Pfizer-Forschungschefs könne sich das Virus «geschickt einer anhaltenden Immunität entziehen». Das würde dafür sprechen, dass es, wie bei der saisonalen Grippe, eine wiederholte Impfung braucht. Im «Idealfall» wäre also künftig jedes Jahr eine Corona-Impfung fällig.

Bis es so weit ist, müssen die Firmen jedoch zuerst viel Geld in die Entwicklung und den Aufbau der Produktionskapazitäten stecken. Allein in diesem Jahr wendet Pfizer dafür mehr als 1 Mrd. $ auf. Dabei hilft aber auch der Staat: Vergangene Woche erklärte sich die US-Regierung bereit, für die Lieferung von 100 Mio. Dosen fast 2 Mrd. $ Vorschuss zu leisten.
Grossbritannien hat für eine nicht genannte Summe 30 Mio. Dosen bestellt.

Der Pfizer-Chef Albert Bourla geht davon aus, dass der Impfstoff in allen Industrieländern ähnlich viel kosten wird wie in den USA. Er liess aber durchblicken, dass er Regierungen von Entwicklungsländern, die sich diese Kosten nicht leisten könnten, Preisnachlässe gewähren werde. Sobald mehrere Impfstoffe gegen Corona auf dem Markt sind – angesichts von mehr als 160 laufenden Entwicklungsprojekten kann davon ausgegangen werden –, die steigenden Produktionszahlen die Kosten senken und der Wettbewerb zu spielen beginnt, dürften die Preise tendenziell eher sinken.

Die mit Pfizer in einem Kopf-an-Kopf-Rennen befindliche Moderna trachtet laut Medienberichten danach, pro Impfung 25 bis 30 $, also insgesamt 50 bis 60 $ für die Zwei-Dosen-Impfung zu verlangen. Obwohl auch diese Firma die Zulassung noch nicht beantragt hat, hat sie die Produktion des in Zusammenarbeit mit dem nationalen Forschungszentrum für Allergien und infektiöse Erkrankungen entwickelten Wirkstoffes bereits aufgenommen. Dabei kann Moderna auch auf den Schweizer Auftragsfertiger Lonza zählen. Laut Unternehmensangaben ist Moderna in der Lage, rund 500 Mio. Einheiten pro Jahr zu produzieren und 2021 die Kapazitäten zu verdoppeln.

Auch der britische Pharmakonzern Astra Zeneca wird bald für den zusammen mit der Universität Oxford entwickelten Wirkstoff die Phase III in Angriff nehmen. In einer Vereinbarung mit einer europäischen Impfallianz hat sich das Unternehmen bereit erklärt, bis Ende Jahr rund 400 Mio. Dosen zum Selbstkostenpreis bereitzustellen. Laut Analytikern wären das 3 bis 4 $ pro Einheit. Auch der US-Gesundheitskonzern Johnson & Johnson testet ein Präparat bereits an Menschen. Er will damit im September in die Phase III gehen.

Rückschlag für Roche

Einen herben Rückschlag im Corona-Geschäft musste der Basler Pharmakonzern Roche hinnehmen. Am Mittwoch erklärte das Unternehmen, Actemra habe bei Covid-19-Patienten, die unter einer schweren Lungenentzündung litten, nicht die erhoffte Wirkung gezeigt. Das Roche-Management hatte sich viel davon versprochen und rechnete bei einem günstigen Resultat mit einem erheblichen Mehrumsatz des seit Jahren gegen rheumatoide Arthritis eingesetzten Medikaments. In Antizipierung wurden sogar die Produktionskapazitäten deutlich hochgefahren.

In einem Phase-III-Versuch konnten die mit Actemra behandelten Patienten das Spital im Schnitt zwar schon nach 20 Tagen verlassen, während es bei den mit dem Placebo behandelten 28 Tage dauerte. Hingegen wurde nach vier Wochen weder bei der Genesung noch bei der Überlebensrate der Patienten, die mit Actemra behandelt worden waren, eine Verbesserung festgestellt. Auch bei der Dauer, für die ein Patient künstlich beatmet werden musste, gab es keine statistisch bedeutenden Abweichungen, welche die Gabe von Actemra ratsam machen würden.

Das Unternehmen zeigte sich enttäuscht vom negativen Resultat. Es will Actemra jedoch für andere Behandlungen gegen das Coronavirus, etwa in Verbindung mit einem Antivirusmittel, untersuchen. Das von der japanischen Tochtergesellschaft Chugai entwickelte Medikament wurde 2005 in Japan erstmals zugelassen und darf mittlerweile in mehr als 110 Ländern verkauft werden. Für die Unternehmensbewertung von Roche hatte der temporäre Rückschlag keine Folgen: Die Genussscheine gingen am Mittwoch in einem gehaltenen Gesamtmarkt sogar mit einer Kursavance von 0,6% aus dem Markt.

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