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Horrorflug durch Vulkanasche: "Hoffentlich zerschellen wir an einem Berg"

Foto: Corbis

Horrorflug durch Vulkanasche "Hoffentlich zerschellen wir an einem Berg"

Qualm in der Kabine, Feuer aus allen vier Triebwerken: Am 24. Juni 1982 geriet eine Boeing 747 in eine Wolke aus Vulkanasche. Nur eine Reihe von Glanztaten des Piloten verhinderte den sicheren Absturz. Angelika Niall war damals an Bord. Auf einestages erinnert sie sich an die bangen Minuten.
Von Angelika Niall

Am 24. Juni 1982 flog die Boeing 747-200 "City of Edinburgh" von London nach Auckland, Neuseeland. Über dem Indischen Ozean geriet der British-Airways-Flug 9 in die Aschewolke des indonesischen Vulkans Gunung Galunggung - mit verheerenden Folgen. Es war das erste Mal, dass eine Passagiermaschine den Auswirkungen eines Vulkanausbruchs ausgesetzt war. An Bord war die damals 32-jährige Lehrerin Angelika Niall.

Ich hatte nie Flugangst. Ursprünglich komme ich aus Berlin und bin deshalb als Kind oft von Berlin nach Hannover geflogen. Das war ganz normal, als die Mauer noch stand. Doch der British-Airways-Flug Nummer 9 in der Boeing 747 "City of Edinburgh" war meine erste große Reise. Zusammen mit einer Kollegin wollte ich in Neuseeland eine Freundin besuchen, die Reise ging über Bombay, Kuala Lumpur und Perth. Ich war damals 32 Jahre alt und arbeitete als Lehrerin für Englisch und Geschichte an einem Gymnasium in der Nähe von Hamburg.

Ich saß in Reihe 41, hinter den Flügeln. So konnte ich die Triebwerke sehen und bekam leider sehr gut mit, was später passierte. Neben mir am Fenster saß ein 18-Jähriger aus Schottland, der zum ersten Mal mit einem Flugzeug reiste. Unser Steward war ausgesprochen nett, er hat immer mit uns geflachst. Der Runninggag war, dass er nicht nur Steward war, sondern auch Stuart hieß. Wir waren alle in unheimlich guter Stimmung. Es war halb neun abends, etwa ein bis zwei Stunden vorher waren wir in Kuala Lumpur zum Nachtflug nach Perth gestartet.

Doch plötzlich roch es nach Rauch. Damals durfte man ja im Flugzeug noch rauchen, aber die Raucher saßen ganz hinten. Es roch stark nach Zigarrenqualm. Ich dachte nur: "Ach Gott, jetzt raucht hier jemand." Als der Geruch noch stärker wurde, meinte der Steward, der gerade bei uns stand: "Ich gehe mal gucken." Nach zwei, drei Minuten kam er wieder und erklärte, er habe nichts gefunden, aber es rieche doch ein bisschen doll. Der Gestank wurde immer heftiger, doch weil wir immer noch glaubten, jemand hätte sich eine Zigarre angesteckt, machten wir uns erst mal keine großen Gedanken.

Alle Triebwerke spuckten Feuer

Dann begann es nach angebrannten Drähten zu riechen. Meine Freundin hatte Flugangst und wurde langsam nervös. Ich versuchte, sie zu beruhigen: "Keine Bange", sagte ich, "das ist alles doppelt ausgelegt. Also, wenn irgendwo was schmort, gibt es noch andere Drähte, die funktionieren." Doch auch ich konnte nicht ignorieren, dass der Geruch immer intensiver wurde.

In unserer Reihe saß ein Belgier. Beim Halt in Kuala Lumpur hatten wir uns unterhalten. Er hatte den Fensterplatz auf der anderen Seite des Ganges und wir haben immer zueinander rübergegrinst und uns zugewinkt. Als ich wieder einmal zu ihm rüberschaute, fiel mein Blick an ihm vorbei aus dem Fenster. Zwei Jahre nach dem Unglück haben wir uns noch einmal getroffen. Er sagte mir, er werde den plötzlichen Schrecken in meinem Gesicht nie wieder vergessen. Ich sah, wie aus dem Triebwerk hinter ihm ein großer Feuerschein den Nachthimmel erhellte.

Sofort guckte ich bei mir zum Fenster raus und sah dann, dass ein Triebwerk nach dem anderen Feuer spie, wie die Raketen, wenn sie in Cape Canaveral abheben. Sonst war es stockdunkel draußen.

Segelflug Tausende Meter über dem Ozean

Der Geruch in der Kabine wurde derweil immer stärker. Dann kam die Durchsage vom Piloten: Er wisse nicht, was Sache ist, aber er denke, dass alle vier Triebwerke nicht mehr funktionieren. Wir sollten bitte versuchen, nicht in Panik zu geraten. Wir dachten, wir hören nicht richtig. Aber dann merkten wir, dass die Motorengeräusche weg waren.

Wir saßen alle wie versteinert da. Wir befanden uns im Segelflug, einige tausend Meter über dem offenen Ozean. Niemand sprach ein Wort. Keiner brach in Panik aus. Hinterher haben wir gefragt, warum und sind zu dem Schluss gekommen, dass Panik nur dann ausbricht, wenn man noch denkt, man könne sich retten. Aber es gab für uns ja keine Möglichkeit, irgendwas zu machen. Es gab absolut keinen Ausweg.

Mein erster klarer Gedanke war: "Scheiße, wir sind über dem Indischen Ozean". Ich bin keine große Schwimmerin. Ich kann nicht tauchen. Ich sah schon das Bild vor meinen Augen: Luftblasen, die nach oben steigen und ich unter Wasser. Ich dachte: "Mensch, hoffentlich finden wir irgendwo einen Berg, an dem wir zerschellen. Es ist das Beste." Ich wollte nicht irgendwo ins Wasser fallen. Und aus den späteren Gesprächen mit anderen Passagieren weiß ich, dass ich nicht die Einzige war, die das gedacht hat.

Plötzlich fiel auch noch der Strom aus

Ich versuchte dann, an meine Reisetasche zu gelangen. Aber ich hatte mit meiner Freundin den Platz getauscht und die Tasche war unter ihrem Sitz. Ich wollte meinen Reisepass rausholen und ihn mir hinten in die Jeanstasche stecken. Ich dachte, dann würden sie später wenigstens wissen, wer ich war. Doch ich konnte meine Tasche nicht erreichen. Ich hatte meine Hände und Arme nicht mehr unter Kontrolle. Es war mir unmöglich, vom Kopf aus meine Hände zu organisieren und die Tasche aufzumachen. Ich weiß noch, wie mich das geärgert hat. Aber ich hab's einfach nicht geschafft. Ich war wie gelähmt.

Ich glaube, keiner von uns hat noch rational gehandelt in der Situation. Der schottische Junge im Sitz neben mir hat mich gefragt, ob er ein Foto machen soll. "Scheiße", habe ich geantwortet, "was soll das bringen, wer soll denn das jemals sehen?" Hinterher habe ich mich natürlich geärgert.

Dann fiel auch der Strom aus. Nur die Lämpchen in den "Exit"-Schildern brannten noch. Ich habe zu meiner Freundin gesagt: "Ja, sollen wir springen oder was?" Sauerstoffmasken kamen runter, obwohl ich mir immer noch nicht sicher bin, ob die überhaupt funktionierten, ob es überhaupt notwendig war. Aber der Obersteward ging selbst mit einer großen Sauerstoffflasche auf dem Rücken und einem Megafon herum, weil nichts mehr funktionierte. Es kam mir vor wie in einem Film. Wie er so mit dem Megafon durch die dunklen Reihen ging und uns alle beruhigte. Aber wir waren alle ruhig, es gab nichts zu beruhigen.

Zerschellen an der Bergkette oder auf dem Wasser?

Der Obersteward sorgte dafür, dass jüngere Leute an die Notausgänge gesetzt wurden. Wie wir später erfuhren, war das die Vorbereitung für eine Notlandung. Die Jüngeren sollten anderen beim Ausstieg helfen. Eric Moody, der Pilot, wollte zuerst auf dem Wasser landen. Doch dann sah er ein, dass das unmöglich war, bei Dunkelheit und hohem Wellengang.

Der Pilot war ein cleverer Kerl, ohne ihn könnte ich heute nicht diese Geschichte erzählen. Als die Triebwerke ausfielen, war er so geistesgegenwärtig, sofort umzukehren. Er wusste, dass wir vor nicht allzu langer Zeit über Jakarta geflogen waren. Er wusste aber auch, dass zwischen uns und Jakarta eine hohe Bergkette war. Um über diese Bergkette zu kommen, durfte er also nur auf eine bestimmte Höhe runtergehen. Danach wären wir nicht mehr drübergekommen. Seine zwei Möglichkeiten waren also, es über die Bergkette nach Jakarta zu schaffen oder im Wasser notzulanden. Am Ende war es eine Frage von wenigen Metern, wie er später erzählte. Wären wir eine Minute später an den Kamm der Berge gelangt, hätten wir es nicht mehr geschafft.

Doch davon wussten wir nichts. Der Pilot konnte nicht mit uns kommunizieren, die Sprechanlage war ausgefallen. Wir wussten auch nicht, wo wir waren, es war ja stockdunkel. Das Einzige, was wir mitbekamen, war, dass das Flugzeug nicht abstürzte. Um die Geschwindigkeit zu halten, ist der Pilot immer wieder runtergegangen, gesegelt, wieder runtergegangen. Sehr vorsichtig, nicht so, dass wir das gemerkt hätten. Nachdem wir aus der Aschewolke herausgeflogen waren, war es dem Piloten dann irgendwie gelungen, drei der Triebwerke wieder anzuwerfen. Doch sie liefen nicht mehr rund.

Blindflug im Cockpit

Dann sahen wir die ersten Lichter und haben alle gedacht: Jetzt haben wir es geschafft. Total idiotisch. Wir waren bestimmt noch drei Kilometer über dem Boden. Doch dann landete das Flugzeug so sanft, wie man es sich nur vorstellen kann. Wir saßen alle da und waren wie gebannt. Es herrschte absolutes Schweigen, bis der Flieger hielt. Dann sprangen alle auf und brüllten rum und fielen sich um den Hals. Unser Steward hat erst mal die kleinen Sektflaschen aus der Küche geholt und wir haben ordentlich einen gehoben. Das haben wir auch alle gebraucht.

Es dauerte eine Weile, ehe wir das Flugzeug verlassen konnten. Der Flughafen war schon geschlossen. Der Kapitän erzählte später, dass es mehr als zehn Minuten gedauert hatte, bis auf seinen Notruf überhaupt geantwortet worden war. Als wir dann die Treppe hinabstiegen, damals gab es ja noch keine Flugsteige, wurde uns ganz flau im Bauch. Da standen diese Leute und starrten uns an, als ob wir gerade vom Mond gelandet wären. Sie hatten nicht erwartet, uns lebend zu sehen, das konnten wir in ihren Augen lesen.

Ich weiß im Nachhinein auch warum. Als ich später die Bilder der Boeing 747 sah, bemerkte ich erst, dass große Teile der Lackierung von der Vulkanasche einfach abgeschliffen worden waren. Die Tragflächen, der obere Teil des Rumpfes. Doch nicht nur der Lack hatte gelitten: Von den Aschepartikeln war die Scheibe des Cockpits total zerkratzt - der Pilot konnte bei der Landung so gut wie nichts sehen. Außerdem waren Sensoren für wichtige Instrumente verstopft, Höhenmesser und auch das Radar funktionierte nicht mehr richtig. Nur an einer Stelle der Scheibe war ein kleiner Streifen von oben nach unten geblieben, durch den man noch hindurchsehen konnte. Der Pilot erzählte uns später, er habe praktisch gestanden beim Landen, um durch den schmalen Schlitz an der Seite der Cockpitscheibe rauszugucken. Er hat das Flugzeug im Stehen gelandet. Es war irre.

Einen Tag später traf ich den Piloten Eric Moody. Und er sagte einen Satz, den ich nie vergessen werde: "Mädchen, du brauchst kein Lotto mehr zu spielen. Das war dein Lottogewinn."

Aufgezeichnet von Benjamin Maack