In Pandemiezeiten haben Krankenhäuser ein nachvollziehbares Interesse: Man will dort möglichst wenig Besucher, am besten gar keine. In begründeten Ausnahmefällen müssen die Einrichtungen allerdings Angehörigen oder gesetzlichen Vertretern von Patienten Zutritt gewähren. Dieses Signal ging am Dienstag vom Amtsgericht aus. Ein Krebspatient des Klinikums Mitte (KBM) hat dort ein Besuchsrecht für seine Ehefrau erstritten. Zwar endete die Verhandlung nur mit einem Vergleich, in der Sache hat sich der Kläger allerdings klar durchgesetzt.
Der Mann aus Tarmstedt ist am KBM schon länger wegen eines Krebsleidens in Behandlung, sein Gesundheitszustand war phasenweise bereits bedrohlich. Trotzdem verweigerte der Klinikträger Gesundheit Nord (Geno) der Ehefrau den Zutritt, und zwar unter Berufung auf die aktuelle Corona-Verordnung des Landes. Dort ist ein Besuchsverbot für medizinische Einrichtungen ausdrücklich festgehalten. Allerdings sind auch Ausnahmen aufgeführt. Bei „besonderem berechtigten Interesse“ müssten Besuche zugelassen werden. Zum Beispiel dann, wenn es sich bei den Patienten um Minderjährige, Gebärende oder Schwerstkranke handelt.
Stefanie Mencke machte eine solche Ausnahme gegenüber der KBM-Leitung geltend, zunächst allerdings ohne Erfolg. Erst als sich bei ihrem stationär aufgenommenen, schwer krebskranken Ehemann zusätzlich eine Sepsis entwickelte und mit dem Schlimmsten zu rechnen war, durfte Mencke für eine Viertelstunde an sein Bett. „Mein Mann und ich haben versucht, mit der Geno im Konsens eine Besuchsregelung zu vereinbaren, aber vergeblich“, sagt die Tarmstedterin. „Immerhin habe ich auch eine Generalvollmacht meines Mannes und muss in der Lage sein, auch seine rechtliche Betreuung wahrzunehmen.“ Wie das ohne Besuchsmöglichkeit gehen soll, sei ihr schleierhaft.
Letztlich hätten sie und ihr Mann keine andere Möglichkeit mehr gesehen, als den Rechtsweg zu beschreiten. Der Anwalt der Menckes, Carsten Gorbatenko, schrieb die Geno am 8. Oktober an und verlangte bis zum 12. Oktober eine Bestätigung des Krankenhausträgers, „dass der bevollmächtigten Ehefrau unseres Mandanten täglich ein Zugangsrecht im Umfang von einer Stunde unter Wahrung der Hygiene- und Pandemiebestimmungen des Krankenhauses eingeräumt wird“.
Nachdem die Geno auf den Brief nicht reagierte, zog das Ehepaar Mencke vor das Amtsgericht, um das Besuchsrecht im Wege einer einstweiligen Verfügung durchzufechten. Der Prozessvertreter der Geno zog sich in der Verhandlung auf die Corona-Verordnung zurück. In Verbindung mit dem Hausrecht biete sie eine ausreichende Grundlage, um ein Besuchsrecht zu verweigern.
Das allerdings sah die Amtsrichterin anders. Im vorliegenden Fall erkannte sie sehr wohl ein „besonderes berechtigtes Interesse“ der Ehefrau und gesetzlichen Vertreterin, ihren Mann am Krankenbett besuchen zu dürfen. Der Ausnahmetatbestand in der Corona-Verordnung gebe dies her. Der Vergleich, dem der Geno-Vertreter zustimmte, sieht nun vor, dass Stefanie Mencke ihren Mann dreimal pro Woche für jeweils zwei Stunden sehen darf. „Ich bin absolut erleichtert“, sagte sie nach der Verhandlung dem WESER-KURIER. Sie hoffe, dass die Geno künftig in ähnlich gelagerten Fällen „mehr Sensibilität bei ihrem pflichtgemäßen Ermessen“ an den Tag legt.
Entscheidung war ein Einzelfall
Die Klage des Ehepaares Mencke gegen die Gesundheit Nord war der erste Fall, bei dem das Amtsgericht über ein Besuchsverbot auf Grundlage der Corona-Verordnung zu verhandeln hatte. Gerichtssprecherin Cosima Freter bemühte sich im Anschluss, dem Eindruck entgegenzuwirken, dass sich nun die Krankenhaustüren generell wieder für Angehörige von Patienten öffnen. Es sei um eine Einzelfallentscheidung gegangen, „und es kann durchaus Fälle geben, in denen objektiv kein Besuchsrecht besteht“.
Für Geno-Sprecherin Karen Matiszick lenkt der Rechtsstreit den Blick auf das Dilemma, mit dem der Klinikverbund konfrontiert ist. „Das ist ein ganz schwieriges Thema“, räumte sie ein. „Mit jedem Besucher öffnet man die Tür für das Virus“, deshalb müsse der Zugang zu den Klinikgebäuden sehr restriktiv gehandhabt werden. Matiszick: „Uns ist bewusst, wie schmerzhaft das für die Angehörigen ist.“ Die Klinikleitungen träfen die Einzelfallentscheidungen auf der Grundlage der Corona-Verordnung und nicht als Willkürakt. „Wir sind bemüht, das sensibel zu handhaben“, sagte Matiszick. Für Stefanie Mencke steht fest, dass der Klinikverbund dieses Fingerspitzengefühl im Fall ihres Ehemannes vermissen ließ. Bei allem Verständnis für die Wichtigkeit der Corona-Prävention im Krankenhaus müsse doch eines klar sein: „Es geht hier auch um die Würde von Menschen.“
Corona-Verordnung
Seit dem Frühjahr hat der Senat seine Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie in Verordnungen gebündelt, die mehrfach überarbeitet wurden. Am 7. Oktober wurde die 18. Verordnung in Kraft gesetzt. Sie sieht unter anderem das - mit Ausnahmebestimmungen versehene - Besuchsverbot in Krankenhäusern vor, außerdem die Sperrstunde in der Gastronomie und eine Maskenpflicht an ausgewiesenen Orten. Außerdem beinhaltet die Corona-Verordnung ein Verbot von Menschenansammlungen in der Öffentlichkeit von mehr als fünf Personen.