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Krankenhäuser sind voll Corona: Irland und England kurz vor dem Kollaps

In Irland und England schrillen die Alarmglocken. Die Folgen der Weihnachtsfeiertage überlasten Krankenhäuser und Ärzte. Die Pandemie ist außer Kontrolle geraten.
23.01.2021, 05:00 Uhr
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Corona: Irland und England kurz vor dem Kollaps
Von Katrin Pribyl

Irland

Monatelang diente Irland in Europa als leuchtendes Vorbild in der Coronavirus- Krise, immer wieder wurde das Vorgehen auf der grünen Insel angesichts der niedrigen Zahlen als Erfolgsmodell gepriesen. Doch dann brach die Weihnachtszeit an – und „die Hölle los“, wie Medien es bezeichneten. Die Lage ist in der Republik eskaliert. So meldeten die Behörden gerade erst 73.026 Infektionen für die ersten beiden Januarwochen, das entspricht 44 Prozent aller Corona-Fälle seit Beginn der Pandemie in dem rund fünf Millionen Einwohner zählenden Land. Die Inzidenz lag in dieser Zwei-Wochen-Periode bei 1533, während sie am 23. Dezember noch bei 166 war, am 10. Dezember gar bei lediglich 41.

Zwar gehen die Fallzahlen aufgrund des seit Ende Dezember geltenden Lockdowns, der deutlich strikter ist als in Deutschland, wieder zurück. Doch das Land ächzt unter den Folgen. Die Krankenhäuser sind voll, Ärzte und Pfleger an ihrer Belastungsgrenze angelangt. Premierminister ­Micheál Martin gestand ein, dass die Situation „extrem ernst“ sei. Offenbar erwartete niemand in der Regierung, dass Irland plötzlich zu den am schlimmsten betroffenen Ländern in Europa gehören würde, nachdem die Republik mit einem frühen – und strengen – zweiten Lockdown die Zahlen massiv nach unten gebracht hatte.

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Grund für den jüngsten explosionsartigen Anstieg ist zum einen die deutlich ansteckendere Coronavirus-Variante B.1.1.7., die erstmals im Nachbarland Großbritannien entdeckt wurde. Laut Behörden geht mittlerweile fast jede zweite Infektion auf die Mutante zurück. Zum anderen aber machen Experten die Feiertage für die Lage verantwortlich. Diese verbrachten die Iren relativ entspannt, nachdem alles Anfang Dezember gut aussah und man die Bewunderung aus anderen europäischen Ländern genoss. Es war die Zeit, als gerade erneut ein sechswöchiger strenger Lockdown zu Ende gegangen war. Dementsprechend öffneten Restaurants und Pubs wieder, die Beschränkungen wurden zu Weihnachten temporär so gelockert, dass drei Haushalte zusammen feiern durften.

Es sei offensichtlich, was passiert ist, sagt Luke O’Neill, Immunologe am Trinity College in Dublin. „Die Iren lieben Weihnachten und eine wesentliche Ursache für den Anstieg waren die sozialen Kontakte.“ Hinzu kommt, dass rund 54.000 im Ausland lebende Iren Weihnachten mit Freunden und Familie in der Heimat verbringen wollten und entgegen der Regierungsempfehlung auf die Insel reisten. Tausende kamen allein aus dem Nachbarland Großbritannien, wo die Mutante längst grassierte. Es handelte sich zwar um deutlich weniger Heimkehrer als üblich. Doch angesichts des hoch infektiösen Virus war auch das fatal.

In der Republik herrscht nun wieder ein so strenger Lockdown wie zu Beginn der Pandemie im Frühjahr vergangenen Jahres. Aber dass Irland den Tiefpunkt bei Krankenhauseinlieferungen und Todeszahlen erreicht hat, wird von Wissenschaftlern bezweifelt. Immerhin, so O’Neill, scheine sich die Situation zu stabilisieren.

England

Als erstmals seit einer gefühlten Ewigkeit wieder die Sonne in England schien, trieb es die Londoner nach draußen. Die Parks waren voll, entlang der Themse spazierten massenhaft Menschen, auf Spielplätzen tummelten sich zahlreiche Familien. Dabei gilt seit Anfang Januar ein nationaler Lockdown, die Briten sind aufgerufen, zu Hause zu bleiben. Kontakte zu anderen Haushalten sind in Innenräumen nicht erlaubt, draußen darf nur eine Person aus einem anderen Haushalt getroffen werden. Anders als im vergangenen Jahr von Mitte März bis Anfang Juli 2020 interpretieren die Briten die im Vergleich zu Deutschland deutlich strengeren Regeln derzeit aber lockerer, obwohl etwa Londons Bürgermeister Sadiq Khan für die Hauptstadt den Katastrophenfall ausgerufen hat.

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Die Pandemie ist völlig außer Kontrolle. Rund 95.000 Menschen sind Regierungsangaben zufolge an oder mit dem Coronavirus gestorben. In diese Statistik eingerechnet sind jedoch nur jene, die innerhalb von 28 Tagen vor ihrem Tod positiv getestet wurden. Laut nationalem Statistikamt liegt die tatsächliche Zahl bei deutlich mehr als 100.000. Und die „schlimmsten Wochen der Pandemie“ stünden noch bevor, warnte Chris Whitty, der medizinische Chefberater der Regierung. Zwischen rund 50.000 und bis zu knapp 69.000 Neuinfektionen wurden in der ersten Januarhälfte täglich registriert. Nun spiegeln sich diese Fallzahlen in den Todeszahlen wider. Wurden am vergangenen Dienstag 1610 Tote vermeldet, registrierte Großbritannien am Mittwoch für die vergangenen 24 Stunden gar 1820 Verstorbene – ein trauriger Rekord seit Beginn der Pandemie.

Völlig verzweifelte Ärzte und Schwestern berichten von desolaten Zuständen in den heillos überfüllten Krankenhäusern, wo Kinderabteilungen in Intensivstationen umfunktioniert werden und Physiotherapeuten oder Hautärzte plötzlich wegen des Personalmangels schwer kranke Covid-Patienten betreuen. Feuerwehrleute und Polizisten in London bringen Patienten in die Kliniken, weil es nicht mehr ausreichend Rettungswagen gibt. Der nationale Gesundheitsdienst (NHS) steht kurz vor dem Kollaps. Die zweite Welle bringe den NHS in die „prekärste Lage“ seit dessen Gründung vor 72 Jahren, sagte NHS-Chef Sir Simon Stevens.

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Zeichnet dafür allein die Mutante B.1.1.7 verantwortlich, die sich offenbar im Herbst in der Grafschaft Kent südöstlich von London entwickelt hat? Ab wann wusste Premier Boris Johnson von der Ausbreitung der weitaus ansteckenderen Variante? Beobachter üben scharfe Kritik am Schlingerkurs der Regierung, am zögerlichen Vorgehen von Johnson und der verwirrenden Kommunikation. Weihnachten finde statt, versicherte der Regierungschef lange, um die Lockerungen zu den Feiertagen dann kurz davor wieder zu kassieren. Erst hieß es, Schulen seien sicher. Nach einem Tag Unterricht nach den Ferien wurden die „Krankheitsüberträger“, so Johnson, dann doch wieder geschlossen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Längst blickt kaum noch jemand durch angesichts der ständig wechselnden Botschaften, die aus der Downing Street dringen.

Immerhin etwas Optimismus herrschte diese Woche, nachdem bekannt wurde, dass die Zahl der Menschen, die mit Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert werden, leicht gesunken ist. Das Problem: Es sind noch immer viel zu viele für das strauchelnde Gesundheitssystem.

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